Erfolgloser Eilantrag eines Baustoffkonzerns gegen die Feststellung der Abfalleigenschaft von im Rahmen der Zementproduktion entstehenden Ofenstäuben (sogenannte Bypass-Stäube)
Mit Beschluss vom 20. November 2024 hat die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen den Eilantrag eines Baustoffkonzerns abgelehnt, der sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Einstufung des bei der Zementproduktion im Werk Schelklingen entstehenden Bypass-Staubs als Abfall im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) wendet.
Die Antragstellerin betreibt in Schelklingen ein Zementwerk. Dort werden aus den natürlichen Rohstoffen Kalkstein, Kalkmergel und Sand täglich rund 5.000 Tonnen Zementklinker gebrannt. Aufgrund des gestiegenen Einsatzes von alternativen Rohstoffen (wie z. B. Gießereialtsand) und Ersatzbrennstoffen (wie Gewerbe- und Siedlungsabfälle, Altreifen und Klärschlämme) erhöhen sich neben den Schadenstoffen Cadmium und Blei auch der Chloreintrag im Ofensystem der Zementwerke. Aus Gründen des Korrosionsschutzes und der Beständigkeit des Betons darf Zement nach den entsprechenden Qualitätsvorgaben der DIN EN 197-1 jedoch bestimmte Chlorwerte nicht überschreiten. Um dennoch Ersatzrohstoffe und Ersatzbrennstoffe in hohem Maße einsetzen zu können, wird das beim Brennen des Zements entstehende Chlor durch ein spezielles Chlor-Bypass-System (aus dem Englischen, to) bypass für umgehen, vermeiden) ausgetragen. Der Bypass-Staub wird hinter der Brennkammer abgezogen und auf dem Weg zu den Bypass-Filtern mit einem Rohmehl versetzt, um die Filteranlagen nicht zu verstopfen. Die Menge des hinzugefügten Rohmehls ist abhängig vom Chlorgehalt im Bypass-Staub. Rund 80 Prozent des anfallenden Rohmehl-Gemischs wird dem Endprodukt Zement als Nebenbestandteil wieder zugesetzt, dies unter anderem deshalb, weil Bypass-Stäube zu einer schnelleren Aushärtung des Betons beitragen. Die restlichen Mengen des Staubgemischs werden zur Herstellung von Spezialbindemitteln (etwa zur Bodenstabilisierung) verwendet oder an Schwesterwerke oder andere Verwender abgegeben. Rund 9 Prozent des Gemischs entsorgt das Werk als Abfall.
Mit hier angegriffenem Bescheid vom 2. Juni 2023 stellte das Regierungspräsidium Tübingen fest, dass der im Zement-Produktionsprozess anfallende Bypass-Staub aufgrund der hohen Schadstoffbelastung mit Blei, Cadmium und Chlor als Abfall im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes einzustufen ist. Dies gilt auch für das Staub-Gemisch, weil auch durch die Verdünnung der Schadstoffe nicht das Ende der Abfalleigenschaft erreicht wird. Ergänzend ordnete das Regierungspräsidium an, den Bypass-Staub sowie das Staub-Gemisch regelmäßig zu beproben. Aus Sicht des Regierungspräsidiums ist die derzeitige Verwendung des Staub-Gemischs - jedenfalls in Spezialbindemitteln - abfallrechtlich unzulässig, weil die Verwendung zu einer Schadstoffanreicherung im Wertstoffkreislauf führt. Eine Verwendung im Endprodukt Zement kann zulässig sein, wenn die produktrechtlichen Anforderungen eingehalten werden und die Schadstoffbelastung im Zement derjenigen der verwendeten Rohstoffe entspricht.
Hiergegen hat das Zementwerk Klage vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben und einen Eilantrag gestellt. Die Antragstellerin sieht in dem Staub-Gemisch ein Nebenprodukt, weil dieses im weiteren Produktionsprozess - auch aufgrund seiner günstigen Eigenschaften - weiterverwendet werden könne und werde. Jedenfalls ende die Abfalleigenschaft nach Einbringung in das jeweilige Endprodukt.
Dieser Argumentation ist das Verwaltungsgericht im Eilverfahren nicht gefolgt. Nach den Vorgaben des Kreislaufwirtschafts- und des Bundes-Immissionsschutzgesetzes müssen Anlagen so betrieben werden, dass nicht zu vermeidende Abfälle verwertet und nicht zu verwertende Abfälle ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt werden. Bei dem im Rahmen der Produktion von Zement anfallenden Stäuben handelt es sich aus Sicht der Kammer um Abfall im Sinne von § 3 KrWG, weil diese bei der Herstellung von Zement zwangsläufig „anfallen“, im Ergebnis aber nicht erwünscht sind. Nach Informationen des Baustoffkonzerns werden vereinzelt auch Werke ohne Bypass-Systeme betrieben, wenn in diesen Anlagen keine Ersatzbrennstoffe eingesetzt werden. Auch die Einordnung als Nebenprodukt im Sinne von § 4 KrWG scheidet aus Sicht der Kammer aus, weil eine Weiterverwendung - jedenfalls in Spezialbindemitteln - nicht ohne schädliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt denkbar ist. Weiter ist auch die auferlegte Pflicht, das Staub-Gemisch regelmäßig zu beproben, rechtmäßig. Rechtswidrig ist hingegen die Beprobung des reinen Bypass-Staubs, da dies aus technischen Gründen nicht möglich ist.
Die Eilentscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Antragstellerin kann gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Beschwerde einlegen. Hierüber müsste dann der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Sitz in Mannheim entscheiden. Über die noch anhängige Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen wird die Kammer zu gegebener Zeit entscheiden (Le).