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Grundschüler darf trotz nichtbestandener Aufnahmeprüfung das Gymnasium besuchen
Datum: 10.10.2002
Kurzbeschreibung: In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen jetzt das Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Oberschulamt Tübingen, verpflichtet, einem Schüler vorläufig, nämlich bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Widerspruch gegen den Prüfungsbescheid, die Teilnahme am Unterricht des Gymnasiums zu gestatten.
Grund dafür sind ernsthafte Zweifel der Kammer an der Angemessenheit und Geeignetheit der schriftlichen Prüfung nach der Aufnahmeverordnung für die Realschulen und die Gymnasien der Normalform, insbesondere im Fach Mathematik, aber auch in Deutsch. Zwar führe die Ungeeignetheit von Prüfungsaufgaben regelmäßig lediglich zu einem Anspruch auf Aufhebung der Prüfungsentscheidung und Wiederholung der Prüfung. Hier gelte indes anderes, weil die Aufnahmeprüfung nicht wiederholt werden kann und das Elternrecht des Artikels 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz sowie das durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz verbürgte Grundrecht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte betroffen sind. Dies führe dazu, dass der Schüler (jedenfalls) bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens einen Anspruch auf Besuch des Gymnasiums habe.
In der schriftlichen Prüfung im Fach Mathematik waren in 60 Minuten zwölf Aufgaben zu lösen, die zum Teil in Teilaufgaben untergliedert waren. Aufgrund der Komplexität der Anforderungen der Aufgaben an die abstrakte Denkfähigkeit und das räumliche Vorstellungsvermögen äußerte die Kammer ernstliche Zweifel daran, ob diese Aufgaben insgesamt noch im Rahmen dessen liegen, was verlangt werden kann. Weiteres erhebliches Indiz dafür, dass die schriftliche Aufgabenstellung den Rahmen des Zulässigen überschritten haben dürfte, seien die Ergebnisse an der betreffenden Schule. In der schriftlichen Prüfung sei es keinem der dort insgesamt 21 geprüften Schülern gelungen, die Anmeldenote im Fach Mathematik zu erreichen oder gar zu verbessern. 16 der 21 teilnehmenden Schüler hätten die Note 5,0 oder schlechter, drei weitere die Note 4,5 erhalten. Andererseits hätten sich alle Schüler bei der mündlichen Prüfung wieder um mindestens eine bis hin zu drei Notenstufen steigern können. Ebenso auffällig seien die Ergebnisse im Diktat. Auch hier hätten 16 der 21 Schüler die Note 5 oder schlechter erhalten, neun Schüler die Note 6. Beim Gesamtergebnis der Aufnahmeprüfung habe sich nur ein Kandidat im Vergleich zu seiner Anmeldenote verbessern können, alle anderen Schüler hätten sich um durchschnittlich fast eine Note verschlechtert. Die vier Schüler, die mit der Aufnahmeprüfung den Wechsel auf das Gymnasium angestrebt hatten, hätten im Gesamtergebnis eine Note jeweils unter 3,0 erzielt mit der Folge, dass sie nach dem Ergebnis der Aufnahmeprüfung nur die Hauptschule besuchen dürften, obwohl ihnen die Grundschulempfehlung und die gemeinsame Bildungsempfehlung den Besuch einer Realschule ermöglicht habe. All dies lasse rechtliche Zweifel daran aufkommen, ob den Grundschülern in der Aufnahmeprüfung eine faire und rechtlich beanstandungsfreie Möglichkeit geboten worden sei, ihre Eignung für den gewünschten Schultypus unter Beweis zu stellen. Eine abschließende Prüfung bleibe einem Hauptsacheverfahren vorbehalten, in dem ggf. ein Sachverständigengutachten eingeholt und ermittelt werden müsse, wie landesweit das Ergebnis der Aufnahmeprüfung, insbesondere der Unterschied zwischen der Anmeldenote und dem Ergebnis in den schriftlichen Prüfungen und dem Gesamtergebnis der Aufnahmeprüfung ausgefallen sei. (Bi)