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Virtuelles Verwaltungsgericht
Datum: 14.07.2000
Kurzbeschreibung: Pilotprojekt beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Elektronische Post und Einsatz von Videokonferenztechnik
Das Verwaltungsgericht Sigmaringen leistet im Rahmen des Projekts "Virtuelles Verwaltungsgericht" seinen Beitrag zur Modernisierung der Justiz und macht dabei gute Erfahrungen. Im Auftrag des Justizministeriums Baden-Württemberg werden - bundesweit einmalig - zwei ganz unterschiedliche Techniken untersucht und zur Einsatzreife gebracht. Durch die Verwendung der Videokonferenztechnik für die Durchführung von mündlichen Verhandlungen sollen zum einen Bürgern und der öffentlichen Verwaltung bei einem Gericht in der Fläche lange Reisewege und damit Kosten erspart werden. Zum anderen will die Justiz mit dem Einsatz elektronischer Post, sogenannter E-Mail, den Bedürfnissen der Bürger, der Verwaltungen und der Gerichte nach einem modernen, kostengünstigen und schnellen Informationsaustausch Rechnung tragen. Die Projektleitung wurde dem Verwaltungsgericht anvertraut, das seit Jahren einen konsequenten EDV-Einsatz betreibt. Projektpartner sind im Videokonferenzbereich neben dem Regierungspräsidium Tübingen die Stadt Friedrichshafen. Verschiedene andere Behörden zeigen sich inzwischen an einer Teilnahme interessiert. Im Bereich "elektronischer Rechtsverkehr" tauschen neben dem Regierungspräsidium Tübingen und der Stadt Ravensburg demnächst vier Landratsämter und zwei Stadtverwaltungen ebenfalls Dokumente per E-Mail mit dem Verwaltungsgericht aus. Es ist vorgesehen, dass auch Anwaltskanzleien in den Versuch einbezogen werden.
Der Einsatz der Videokonferenztechnik ermöglicht die Zuschaltung eines abwesenden Beteiligten und unterstützt damit die im Verwaltungsgericht stattfindende mündliche Verhandlung. Dabei wird das übertragene Bild im Gerichtssaal nicht in herkömmlicher Weise auf einem Fernsehbildschirm dargestellt, sondern mit Hilfe eines Beamers (Videoprojektors) auf eine Leinwand geworfen. Dies ermöglicht ein größeres und besseres Bild, welches außer von den Richtern und den im Sitzungssaal des Gerichts anwesenden Beteiligten auch vom Zuschauerraum aus betrachtet werden kann. Die Videokonferenzanlagen, welche bis zu vier Gegenstellen verbinden können, sind mittlerweile im Sitzungssaal und bei den Teilnehmern fest installiert und gewährleisten eine perfekte Tonübertragung bei guter Bildqualität. Die bisher gemachten Erfahrungen zeigen, dass nach kurzer Zeit eine Verhandlungsatmosphäre entsteht, die weitgehend derjenigen bei Anwesenheit der Beteiligten im Saal entspricht. Die Vorteile liegen dabei auf der Hand: Der zugeschaltete Behördenvertreter vermeidet die Anreise und gewinnt einen nahezu kompletten Arbeitstag. Die Terminierung wird vereinfacht, auftretende Fragen können, anders als bisher, durch Beiziehung des zuständigen Sachbearbeiters schnell und ohne Vertagung geklärt werden. Inwieweit die derzeitige Rechtslage den Einsatz von Videokonferenztechnik in der mündlichen Verhandlung zulässt, ist umstritten. Um Nachteile für die Beteiligten auszuschließen, wird die Technik derzeit nur eingesetzt, wenn alle Beteiligten einverstanden sind. Die Videokonferenztechnik ist heute pro Gegenstelle - bei unterschiedlich leistungsfähigen Anlagen - schon zu einem Preis zwischen 5000 DM (sog. Desktop-Videokonferenzsysteme) und 25.000 DM zu bekommen.
Die leistungsfähige EDV-Ausstattung des Gerichts, zu der auch ein Anschluss an das Landesverwaltungsnetz gehört, ermöglicht bei geringen Investitionen seit Dezember 1999 die Erprobung des "elektronischen Rechtsverkehrs" im Echteinsatz. Die in Zukunft notwendig werdende Öffnung der Justiz für einen Dokumentenaustausch per E-Mail und die Anpassung der Geschäftsvorgänge der Gerichte (z.B. elektronische Aktenführung) werden durch das Projekt unterstützt. Dabei wirft auch die Versendung von Dokumenten per E-Mail derzeit noch rechtliche Probleme auf. In zahlreichen gesetzlichen Vorschriften wird die Einhaltung der Schriftform vorausgesetzt. Selbst eine E-Mail, welche unter Beachtung des Signaturgesetzes digital signiert wird, wahrt die Schriftform nicht. Auch hier wird der Gesetzgeber aktiv werden müssen. Ein Entwurf des Bundesministeriums der Justiz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr schlägt die Anpassung der Formvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der Zivilprozessordnung vor. Die darin vorgesehene Einführung einer Textform und einer elektronischen Form würden sich auch auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren und dessen Schriftformerfordernisse, etwa bei der Klageerhebung, auswirken; vor allem hätte dann auch der Bürger die Möglichkeit, per E-Mail mit dem Gericht zu kommunizieren.
Wegen der rechtlichen Probleme sind vom Gericht derzeit nur ausgewählte, über die rechtlichen Grenzen informierte Partnerstellen zum "elektronischen Rechtsverkehr" zugelassen. Mit diesen kann E-Mail bereits jetzt in einer Vielzahl von Fällen eingesetzt werden, nicht nur für den einfachen Schriftverkehr, sondern, im Einverständnis mit den Beteiligten, auch für Ladungen, welche bislang durch kostspielige Zustellungen erfolgten. Dokumente, welche per E-Mail beim Gericht eingehen, können auf elektronischem Weg an den Gegner weitergeleitet werden, wobei Arbeitszeit für die Versendung auf dem Postweg und Portokosten eingespart werden. Gleichzeitig werden Postlaufzeiten auf Sekunden minimiert. Das vorgesehene Ablagesystem ordnet die ein- und ausgehenden Dateien und macht diese jederzeit verfügbar. Auf die Datensicherheit legt das Gericht besonderen Wert. Deswegen wird - in Zusammenarbeit mit dem Pilotprojekt E-Mail-Verschlüsselung bei der Stabsstelle für Verwaltungsreform der Landesregierung - eine Software eingesetzt, welche eine effektive Ende zu Ende Verschlüsselung gewährleistet und eine elektronische Signatur ermöglicht. Echtheit und Unversehrtheit der per E-Mail ausgetauschten Dokumente sind damit sichergestellt.
Bleibt es bei den positiven Erfahrungen, kann nach dem Ablauf der Pilotphase das Projekt in den Regelbetrieb übergehen. Der rechtsschutzsuchende Bürger und die öffentliche Verwaltung können damit ohne eine sowieso nicht absehbare personelle Aufstockung der Verwaltungsgerichte mehr Leistung in Form zügigerer Verfahren erwarten.